Betriebliche Altersfürsorge – mit Vorsicht zu genießen

Mit den Pferdefüßen, welche die hochgelobte betriebliche Altersversorgung (bAV) so parat hält, beschäftigen sich Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm, München.

Der Bundesfinanzminister (BMF, Schreiben mit Stand vom 28.09.17 – Entwurf vom 04.10.17) kündigte die künftige Behandlung von fehlerhaft gestalteter betrieblicher Altersversorgung (bAV) an: Demnach sind Sonderzahlungen des Arbeitgebers bei Kalkulationsfehlern des Anbieters für Arbeitnehmer lohnsteuerpflichtig. Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden für dieses „Steuersparmodell“doppelt zur Kasse gebeten. Arbeitgeber und bAV-Berater geraten damit in die Regreßhaftung. Auch Betriebsräte und Gewerkschaften werden sich den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit gefallen lassen müssen.

Das BMF befaßt sich mit dem Fall, daß die Versorgungseinrichtung aus diversen Gründen inklusive Kalkulationsfehlern, Fehlinvestitionen und Insolvenzrisiken ihre Leistungen nicht mehr erfüllen kann und vom Arbeitgeber daher Sonderzahlungen zudem anfordert. Da dies publik wurde, verdeutlicht es, daß diese Risiken bereits häufiger oder massenhaft bestehen und künftig vermehrt erwartet werden und von daher bereits Thema der Finanzverwaltung mit zunehmendem Regelungsbedarf sind.

Lohn oder Rente fallen aus
Also wenn für einen Arbeitnehmer (AN) z.B. nur € 100.000 an Deckungskapital vorhanden sind und € 25.000 EUR einmalig nachfinanziert werden müssen, so muß er (der AN) diesen Betrag versteuern und wohl auch Sozialabgaben darauf zahlen. Er wird für einige Monate also ggf. netto keinen Lohn erhalten, oder als Rentner für einige Jahre keine Rente. Die bAV wird für den AN zur Quelle zusätzlicher Risiken.

Walter Riester hatte die zusätzliche private Altersversorgung auf Basis der Kapitaldeckung empfohlen, während die gesetzliche Rente weiter sinkt. Fiala sagt: „Es ist erstaunlich, daß Gewerkschaften hier nur zaghaft opponierten – und Betriebsräte sich für derlei Folgerisiken kaum interessierten: Schafft man sich ab? Selbst die „Firma Verdi“ traut sich nicht die „Halbierung der Rente“ binnen etwa 30 Jahren in allen Details anzusprechen; so als ob man dort den Wolf mit Kreide angefüttert hatte?“

Vorsatz schwierig zu beweisen
Wenn der Kalkulationszins zunächst korrekt war, und die Zinsen unerwartet fielen, oder aber die Lebenserwartung korrekt kalkuliert und dann gestiegen ist, ist keine Lohnsteuer fällig. Wenn indes der Kalkulationszins von Anfang an unrealistisch hoch war oder die Lebenserwartung bereits erkennbar zu niedrig angesetzt, liegt insoweit eine spätere Anpassung nicht am Niedrigzinsumfeld oder Einbruch am Kapitalmarkt oder an der Verlängerung der Lebenserwartung, sondern war von Beginn absehbar. Es stellt sich ja nur heraus, daß die Annahmen falsch waren - es handelt sich um Fehlbeträge, „die durch früher gesetzte Risiken verursacht worden sind", wie das BMF sagt. Diese entstehen, wenn unrealistisch kalkuliert wurde, in der Hoffnung, dies werde schon gutgehen und nicht anders eintreten, das Niedrigzinsumfeld werde alsbald enden, die Lebenserwartung werde geringer steigen als realistisch anzunehmen oder könnte durch Überschüsse finanziert werden, oder die Aktien würde auf alle Ewigkeit jährlich um 7 % steigen. Wer sich auf diese Weise ggf. selbst etwas vorgemacht hat, dem mag man nicht nachweisen können, daß er vorsätzlich gehandelt hat, sondern ohne Prüfung nur gehofft, daß es gut gehen werde, z.B. ein Wunder geschehe.

Steuern nachfordern
Wer also als Arbeitgeber nicht prüft, wie die Versorgungseinrichtung kalkuliert hat, der setzt sich nicht nur dem Risiko von Nachzahlungen aus, sondern darf u.U. auch noch Lohnsteuer und evtl. Sozialabgaben darauf zahlen und setzt ggf. auch seine AN und Betriebsrentner erheblichen finanziellen Risiken von hohen Einmalzahlungen an Lohnsteuer und Sozialabgaben aus. Dem sollten sich alle bewußt sein, die mit der bAV als zuverlässige Versorgungsform rechnen wollen. Durch diese Risiken kann die bAV selbst zur Altersarmut, Überschuldung und Insolvenz führen.

Zunächst gibt es eine „Entwarnung“: Keine Steuerpflicht für AN tritt ein, sofern Sonderzahlungen des Arbeitgebers neben den laufenden Beiträgen und Zuwendungen erbracht werden, wenn diese
- der Wiederherstellung einer angemessenen Kapitalausstattung nach unvorhersehbaren Verlusten oder 
- der Finanzierung der Verstärkung der Rechnungsgrundlagen aufgrund einer unvorhersehbaren und nicht nur vorübergehenden Änderung der Verhältnisse dienen. 


Der Pferdefuß dabei ist, daß Verluste häufig doch vom Anbieter vorhersehbar waren, wie man sich als Arbeitgeber, Betriebsrat, Arbeitnehmer oder Gewerkschaft sachverständig hätte überzeugen können oder hätten überzeugen lassen können. Auch die Änderung der Verhältnisse, etwa der Niedrigzins auf dem Kapitalmarkt war seit den 90er-Jahren absehbar. Wobei oft gar keine Änderung eingetreten ist, sondern die Verhältnisse sind geblieben wie sie waren, nur haben sie sich nicht wie erhofft verbessert. Damit eröffnet das BMF die Option, noch nach vielen Jahren seine Meinung zu variieren, um am Ende für fast alle Konstellationen der Nachfinanzierung noch Steuern nachzufordern.

Der BMF bildete zwei Fallgruppen, welche in der Realität jedoch gleichzeitig zutreffend sein könnten: „Die vorstehenden Voraussetzungen sind insbesondere beim Vorliegen folgender 
Sachverhalte dem Grunde nach erfüllt: 
- Einbruch am Kapitalmarkt, 
- Anstieg der Invaliditätsfälle, 
- gestiegene Lebenserwartung, 
- Niedrigzinsumfeld.

Um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt es sich hingegen bei Sonderzahlungen, die der 
Arbeitgeber an eine externe Versorgungseinrichtung der betrieblichen Altersversorgung 
erbringt 
- wegen Verlusten aus Einzelgeschäften oder 
- bei Fehlbeträgen, die durch früher gesetzte Risiken verursacht worden sind (z.B. 
Kalkulationsfehler, Insolvenzrisiken).“

Steuerberater in der Schußlinie
Als Arbeitgeber wird man sich überlegen, ob der eigene steuerliche Berater hier in den letzten Jahrzehnten seinen Job korrekt erledigte, eingeschlossen den Hinweis auf die Unterfinanzierung, also eine finanztechnische Haftung, eingeschlossen das Insolvenzrisiko?

Daneben werden Arbeitgeber zunehmend versuchen sich durch Abfindung zu enthaften, wobei zu bechten ist, daß dies in eine Regresshaftung von bis zu 30 Jahren nach §§ 18 ff. BetrAVG führen kann, bzw. zur Haftungsfalle einer Doppelzahlung bei der bAV.

Wie konnte es soweit kommen?
Die erste Ursache ist die Bequemlichkeit von Arbeitgeber, Arbeitnehmern und Betriebsräten. Oder der Glaube daran, daß Vermittler in der bAV wüßten was sie tun. Fiala sagt, die Schulungen der Vermittler werden wohl nur die (potentiellen) Vorteile einer bAV beinhaltet haben – es ist nicht anzunehmen, daß die (Haftungs-)Risiken Bestandteil waren. Man hätte von Anfang an unabhängige Sachverständige einschalten müssen – beim Abschluß von solchen Modellen, und jetzt erst recht, damit Sanierung und Enthaftung gelingen können.

Die zweite Ursache liegt beim Gesetzgeber: Das Betriebsrentenrecht führte den Arbeitgeber in die Haftung gemäß seiner Fürsorgepflicht und entsprechend seiner Einstandspflicht, etwa wenn ein Träger der bAV seine Leistungen herabsetzen muß – und der Arbeitgeber „nachschießen“ darf. Nun sieht das BMF die Abgabenpflicht vor, wenn der Arbeitgeber dies durch seine Nachfinanzierung zu sanieren versucht. Die Abfindung der Mitarbeiter – besser noch die komplette Rückabwicklung - wäre hingegen häufig ein Modell zur Ersparnis von Sozialversicherung und Einkommensteuer, sofern das möglich ist. Der Vermittler wird eine Nachfinanzierung bevorzugen in der Hoffnung, auch hier Provision zu erhalten.

BAG: Haftung ist verfassungsgemäß
Das Bundesarbeitsgericht führt im Urteil vom 12.06.07 – Az. 3 ZR 14/06 aus:
„Verfassungsrecht steht der Verpflichtung der Beklagten auf Abschluß einer Vereinbarung über die Entgeltumwandlung und der daran gebundenen Durchführungspflicht nicht entgegen. ...

Hinzu kommt, daß es grundsätzlich das Recht des Arbeitgebers ist, den Versicherungsträger auszuwählen ... Er hat es deshalb in der Hand, weitere Maßnahmen zur Risikoverringerung zu treffen. Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, die Entgeltumwandlung über eine Direktversicherung abzuwickeln, gibt es nunmehr eine Absicherung über den Sicherungsfonds für die Lebensversicherer

... Eine weitere Möglichkeit für den Arbeitgeber, sein Risiko zu begrenzen, besteht darin, bei der Entgeltumwandlung nicht alle Risiken - Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung -, sondern nur das Altersrisiko der Arbeitnehmer abzudecken.“

(Dr. Johannes Fiala - PhD, RB, VB, MBA, MM – ist geprüfter Finanz- und Anlageberater (A.F.A.)und Bankkaufmann (www.fiala.de). Dipl.-Math. Peter A. Schramm ist Sachverständiger für Versicherungsmathematik (Diethardt), Aktuar DAV, öffentlich bestellt und vereidigt von der IHK Frankfurt am Main für Versicherungsmathematik in der privaten Krankenversicherung (www.pkv-gutachter.de).




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